1. LSBTI*-WISSENSCHAFTSKONGRESS

Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bei facebook Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bei twitter
Steffi Unsleber

Tief ins Thema eintauchen

Frau Farrell und Frau Iwa, beim Kongress „Gleich-Geschlechtliche Erfahrungswelten“ führen Sie als Kommunikationsexpertinnen nach den Symposien zusammenfassende, interaktive Großgruppen durch. Was soll durch diese „moderierten Reflexionen“ erreicht werden?

Tracie Farrell (TF): Im Allgemeinen ist das Ziel einer „moderierten Reflexion“, die Brücke zwischen Erfahrung und Verständnis zu schaffen; Klarstellung, konstruktiver Austausch, neue Perspektiven reinbringen. Um dieses Ziel für den Kongress zu spezifizieren, haben wir genau diese Frage an die Organisierenden des Kongresses gestellt: Was soll durch die „moderierten Reflexionen“ erreicht werden? Für diesen Kongress geht es in unseren Reflexionsmethoden darum, Diskussionen zu fördern, die unterschiedlichen Erfahrungen der Teilnehmer_innen* zu Wort kommen zu lassen, die verschiedenen Themen der Vorträge zu vernetzen und die Forschungslücken zu identifizieren – auf eine partizipative Art und Weise.

Am Donnerstag und Freitag finden die beiden Großgruppen-Diskussionen nach der „Fishbowl“-Methode statt. „Fishbowl“ - wieso sind diese Gesprächsrunden nach dem Goldfischglas benannt?

TF: Für diese Methode bekommt eine kleinere Gruppe von Teilnehmenden die Aufgabe, eine Diskussion vor der Gruppe durchzuführen. Normalerweise sitzt diese kleine Gruppe (die „Fische“) mitten in einem größeren Kreis von allen anderen Teilnehmer_innen* (das „Goldfischglas“). Alle Teilnehmer_innen* können, wenn Sie etwas zur Diskussion beitragen wollen, nach innen kommen und Teil der diskutierenden Kleingruppe werden. Unser Goldfischglas wird auf dem Kongress ein wenig eckig sein, da wir wegen der Räumlichkeiten im dbb forum mit normalen Stuhlreihen arbeiten. Es war uns jedoch wichtig, dass alle Interessierten in einem Raum Platz haben und teilnehmen können. Das Prinzip bleibt aber das Gleiche.

Was kann mit der „Fishbowl“-Methode erreicht werden?

TF: Diese Methode hat praktische und kognitive Vorteile. Ganz praktisch gesehen ermöglicht die „Fischbowl“-Methode eine intensive, vielfältige Reflexion bestimmter Themen, die in einem beschränkten Zeitfenster stattfinden kann. Wichtig für den Kongress ist, dass diese Methode eine Diskussion mit hoher Qualität entwickeln kann und dass ein erhöhtes Verständnis für das große Ganze bzw. die Themen des Kongresses gefördert werden kann. Dieser Aspekt wird auch am Samstagnachmittag noch einmal besonders vertieft.

Am dritten Tag, dem Samstag, gibt es einen „konzentrierten Dialog“ in Kleingruppen, die dann zu einem Plenum zusammenkommen. Wie funktioniert diese Methode?

TF: Es werden im Zuge des Kongresses mehrere Themen vorkommen, die für einige Personen wichtiger oder interessanter sind als andere. Partizipative Methoden funktionieren am besten, wenn diese „Realität“ direkt angesprochen wird. Daher haben die Teilnehmer_innen* am Samstag die Chance, wirklich tief in ein Thema einzutauchen, mit einer Gruppe von Menschen die gleichermaßen am selben Thema interessiert sind. Am Anfang werden alle Teilnehmer_innen* die Möglichkeit haben, ein für sie interessantes Thema auszuwählen und eine Gruppe von maximal neun weiteren Personen zu finden. Die Kleingruppen werden dann eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Arbeitsraum bekommen, um sich mit ein paar Kernfragen auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse werden für alle Teilnehmer_innen* in einem Bericht dokumentiert. Die Berichte werden nach dem Kongress an alle Interessierten per E-Mail verschickt. Ein Teil der Kleingruppenarbeit wird ins Plenum zurückgetragen und kurz präsentiert. Mit dieser Methode ist es möglich, das Wissen und die Erfahrungen im Raum für alle Teilnehmer_innen* zugänglich zu machen, auch wenn sie nicht in allen Gruppen beteiligt sein können.

Sie arbeiten mit Gruppen zwischen 100 bis 300 Personen. Wie behalten Sie und auch die Teilnehmer_innen* da die Übersicht?

TF: Das Wichtigste, was wir mitbringen, ist eine sehr gute Organisation: Wer geht wann wohin und was wird dort wie gemacht. Wir bieten den Rahmen an. Partizipation sieht manchmal chaotisch aus, aber einen Plan und roten Faden gibt es die ganze Zeit. Die Abläufe werden wir den Teilnehmenden immer im Voraus kommunizieren, so dass sich jede Person dabei wohlfühlen kann. Falls irgendwer eine Frage hat, stehen wir die ganze Zeit zur Verfügung.

Ihr Unternehmen, Track2, coacht und begleitet auch Organisationen, die sich in einer Phase des Wandels befinden. Können Sie Beispiele für diese Arbeit geben?

TF: Bei vielen Organisationen, geht es um „Innovation“; wie die Organisation mit neuen technologischen Entwicklungen umgehen kann, wie die Mitarbeiter_innen kreativer und effizienter arbeiten können (meist mit wenigen Ressourcen), wie sie den Auftrag der Organisation erweitern oder ändern können (mit Bezug auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklungen). Es kann auch manchmal sein, dass die Organisation einen neuen Führungsstil etablieren will. Dafür haben wir eine Herangehensweise, „Kinetic Creativity“, erstellt, die Organisationen in solchen Prozessen unterstützen kann. In Kinetic untersuchen wir, wie die bestehenden Strukturen und die individuellen Einstellungen der Mitarbeiter_innen die Kreativität und Innovation beeinflussen. Wir arbeiten zusammen mit dem/der Klient_in an der Entwicklung der kreativen Fähigkeiten, die für große Veränderungen benötigt werden. Ein Teil dieser Arbeit ist auch immer, herauszufinden, wie sich die Organisation von alten Mustern loslösen kann, um etwas Neues aufkommen zu lassen.


Tracie Farrell ist eine Prozessbegleiterin, Trainerin und Sozialwissenschaftlerin aus den USA, die sich seit 2008 mit den Themen Kreativität, Innovation, Selbstorganisation, Partizipation, Interkulturelle Kommunikation und Konfliktbereitschaft beschäftigt. Sie ist die Co-Gründerin von track2 und wohnt in Berlin.

Karolina Iwa ist Prozessbegleiterin, Trainerin, Coach, ausgebildete Interkulturelle Psychologin und Gründerin von track2. Sie arbeitet seit Jahren mit Großgruppen, die sie bei partizipativen Dialogen, strukturierten Veränderungsprozessen und kreativen Teamarbeiten unterstützt. Sie kommt aus Polen (Schlesien), wohnt in Berlin, arbeitet europaweit.