1. LSBTI*-WISSENSCHAFTSKONGRESS

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Steffi Unsleber

Der Schatten der Diagnose

Als Dr. Gisela Wolf noch jünger war, musste sie einmal in Krankenhaus, weil sie kein typisches Mädchen war. Eine Geschlechtsidentitätsstörung? Sie hatte wahnsinnige Angst, dass die Ärzte etwas finden würden – und sie behandeln. Zum Glück, sagt sie, war die Diskussion damals noch nicht vollständig in Deutschland angekommen, so blieb sie von einer Diagnose verschont. Sie war sich doch sicher, dass sie gesund war.

Das ICD-10 wird weltweit dazu verwendet, um Krankheiten zu diagnostizieren. Manche LSBTI*-Menschen fallen allerdings unter die dort angegebenen Diagnosen: Unter „F64“ findet sich zum Beispiel Transsexualismus. Und Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechterrollen. Unter „F66“ werden psychische Störungen in der Phase des Coming-outs beschrieben.

Dr. Gisela Wolf findet das problematisch. Diagnosen werden zur Stigmatisierung verwendet, sagt sie. Und: Hat man einmal eine Diagnose, bleibt sie womöglich an einem haften, man wird sie nicht mehr los. Gisela Wolf nennt das „Diagnostic overshadowing“.

Sie erinnert an früher, als man Homosexuelle durch Hormongabe heilen wollte und als LSBTI*-Menschen noch in Psychiatrien kamen. Sie sagt, es sei wichtig, daran zu erinnern, weil diese Vergangenheit das Misstrauen von LSBTI*-Menschen gegenüber der Medizin erklärt.

Für die neue Auflage des ICD-10 überlegen die Forscher_innen, alle Störungen in Zusammenhang mit Homosexualität komplett zu streichen. Auch für Trans*Personen wäre das denkbar – man müsste nur einen Weg finden, wie Geschlechtsumwandlungen trotzdem von der Krankenkasse bezahlt werden.

Eine eigene Rubrik wäre denkbar, sagt Gisela Wolf. Dann könnte Transition von einem zum anderen Geschlecht einen Status haben wie eine Schwangerschaft: Es ist keine Krankheit, aber die Leistungen werden trotzdem von der Krankenkasse übernommen.