1. LSBTI*-WISSENSCHAFTSKONGRESS

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Steffi Unsleber

Keine eigenständige Sexualität

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Früher nahm man an, dass Frauen keine eigenständige, vom Mann unabhängige Sexualität haben, sagt Dr. Claudia Schoppmann von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Lesbische Liebe wurde als weniger bedrohlich, als ungefährlicher empfunden. Zumal die wichtigen Positionen ohnehin von Männern besetzt waren. Deshalb glaubte man, auf eine systematische Strafverfolgung verzichten zu können.

In Österreich war die Lage anders: Hier war gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern und Frauen verboten. Allerdings lag der Frauenanteil der verurteilten Homosexuellen in Wien zwischen 1938 und 1945 bei nur fünf Prozent.

Unterdrückung war aber auch ohne Strafverfolgung möglich. Lesbische Frauen wurden verachtet und denunziert, weil weibliche Homosexualität nicht dem „gesunden Volksempfinden“ entsprach.

Claudia Schoppmann hat viel zu diesem Thema geforscht und einige Zeitzeugenberichte gesammelt. Eine lesbische Modezeichnerin etwa beschreibt die Veränderungen, die sie erlebte, als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, so: Ihr Chefredakteur kam zu ihr nach Hause. Sie müsse heiraten, sagte er, sonst könne er sie nicht weiterbeschäftigen.

Sie und ihre Freundin heirateten zwei schwule Männer. Wie viele Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus Scheinehen eingingen, ist nicht bekannt, sagt Claudia Schoppmann.

Wenn eine lesbische Frau einen schwulen Mann heiraten konnte, hatte sie noch relatives Glück. Viele Frauen, erzählt Claudia Schoppmann, mussten, wenn sie heterosexuelle Männer heirateten, ihre ehelichen Pflichten erfüllen - und oft auch mit einer ungewollten Schwangerschaft umgehen.

Die lesbische Modezeichnerin, die einen schwulen Mann heiratete, hat das dritte Reich als Zeit der Maskierung beschrieben. Die lesbischen Frauen passten sich äußerlich an, ließen ihre Haare lang wachsen und trugen Kleider statt der von ihnen bevorzugten strengen Kostüme. Sie verzichteten auf Liebesbeziehungen. Lesbisches Leben fand nur noch privat statt.

Wenn sie in Konzentrationslager kamen, wie es einer lesbischen Schaffnerin der Berliner Verkehrsgesellschaft erging, dann bekamen sie keinen rosa Winkel wie die Männer. Sondern sie wurden anderen Gruppen zugeordnet, wurden zum Beispiel „politische“ Häftlinge – mit dem Vermerk „lesbisch“.

Es ist jahrelange Detektivarbeit nötig, sagt Claudia Schoppmann, um diese Geschichten zu ergründen. Deshalb sei weitere Forschung so nötig.

„Es hat diese Frauen gegeben und sie haben gelitten“, sagt Claudia Schoppmann. „Welche Auswirkungen das jahrelange Verleugnen hatte, welche psychischen Schäden, das lässt sich nicht ermessen.“ Aber die Auswirkungen, sagt sie, reichen weit über das dritte Reich hinaus.